DAV

07.10.2022 [Naturschutz]

Klimaschutz - wo stehen wir?

Derzeit bilanziert der DAV seine CO2-Emissionen mit dem Ziel, 2030 klimaneutral zu werden
- durch Vermeiden, Reduzieren, Kompensieren. Sektionen, Landesverbände, Bundesverband wollen ihre Treibhausgasemissionen massiv reduzieren. Auch die Sektionen im DAV-Nord und der Landesverband bilanzieren. Damit haben wir zeitnah eine belastbare Datengrundlage, um im Nachgang effiziente Maßnahme festzulegen.
Klimaschutz bedeutet aber nicht, Zahlen zu produzieren, sondern unsere Emissionen zu reduzieren. 
Und zwar sofort.


Verursacht wird die Klimakrise durch die Verbrennung fossiler Enegieträger (Kohle, Öl, Erdgas) seit Beginn der Industialisierung. Durch die Verbrennung wird CO2 und weitere Gase freigesetzt, die duch den "Treibhauseffekt" die Erwärmung der Atmosphäre verursachen. Der Kohlenstoff in Kohle, Öl und Gas stammt aus Pflanzen und Meeresplankton, die vor Millionen Jahren wuchsen. Bei Ihrer Verrottung und "Fossilisation", beginnend vor 350 Millionen Jahren, wurde der Kohlenstoff in den fossilen Energieträgern gespeichert. 
Vor der Industrialisierung waren die einzig verfügbaren Energieträger (neben Muskelkraft) Holz, Wasser, Wind, Sonne, also "erneuerbare Energien", zu denen Nutzung wir heute zurückkehren wollen. Nur durch den Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energieträger können wir die globale Erwärmung stoppen.

Das Pariser Klimaschutzabkommen 2015
Die politische Grundlage des Klimaschutzes in Deutschland ist das Pariser Klimaschutzabkommen. 2015 verpflichteten sich 195 Staaten verpflichteten völkerrechtlich bindend, "die weltweit durchschnittliche Temperaturerhöhung auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen". Der Bericht des UN-Weltklimarates IPCC "1,5 Grad globale Erwärmung" von 2018 sagt für eine 2 Grad-Erwärmung irreversible Rückkopplungen durch Kippelemente im Erdsystem voraus und empfiehlt eine Erhöhung von maximal 1,5 Grad.

Das Deutsche Klimaschutzgesetz 
Die Ziele des Klimaschutzes in Deutschland sind im Bundesklimaschutzgesetz (KSG) beschrieben. 2021 wurde das Gesetz novelliert, nachdem das Bundesverfassungsgericht das erste KSG von 2019 als "unvereinbar mit den Grundrechten" erklärt hatte. Das KSG verfolgt das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 und beschreibt die jährliche Reduktion der Emissionen in 6 Sektoren (Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft) die das klimarelevante Handeln von Wirtschaft und Gesellschaft komplett abbilden sollen. 

Sind wir auf dem 1,5 Grad-Pfad oder liegen wir darüber?
Die Studie (Juni 2022) des die Bundesregierung beratenden Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) zum KSG sagt:
Eine 2 Grad-Erwärmung der Welt wird bis 2050 mit 83% Wahrscheinlichkeit erreicht.

Diese Erwärmung steht uns sogar bevor, wenn die Ziele des Klimaschutzgesetzes erreicht würden. Wegen der aktuell vorrangigen Sicherung der Energieversorgung und einer Blockadehaltung in Teilen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft werden die Sektorziele in fast allen Bereichen derzeit verfehlt.
Zur Berechnung des Reduktionspfades ging die Bundesregierung von 7,5 Gigatonnen CO2-Restbudget bis zur Klimaneutralität aus. Das ist laut der SRU-Studie viel zu hoch. Für das 1,5 Grad-Ziel, bei dem die Krisenfolgen noch als halbwegs kontrollierbar angesehen werden, sei das Restbudget der Klimagase weniger als halb so groß (siehe Grafik unten).

Fazit: Das Deutsche Klimaschutzgesetz kann die Erwärmung nicht auf 1,5 Grad begrenzen. 
Werden nicht schnell drastischere Maßnahmen ergriffen, ist eine Erwärmung der Welt bis 2050 um 2 Grad sehr wahrscheinlich.


Die Welt erhitzt sich ungleichmäßig. Daher sind in einigen Teilen die Temperaturanstiege noch höher.
Prof. Dr. Stefan Rahmsdorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung sagt für einige Regionen Deutschlands eine Erwärmung von 3 Grad bis 2050 voraus. Für Innenstädte werden massive Hitzewellen erwartet.
Noch stärker betroffen sind neben den Bergen und den Polen, die Staaten des globalen Südens. Sie verfügen über weniger Ressourcen und Resilienz, um den negativen Folgen der Klimakrise zu begegnen: Landwirtschaft wird unmöglich, Wüstenregionen breiten sich aus, Trinkwasser wird knapp, der Meeresspiegel steigt, Hitzewellen, Starkregeneignisse, Sturmfluten ... Katastrophen für die Bewohnbarkeit der betroffenen Weltregionen. Die ersten Auswirkungen sind schon da. Wir kommen gerade in der Klimakatastrophe an.

Die Klimwissenschaft sagt: Bei 2 Grad wird der Anstieg der Temperatur nicht stillstehen. Die Kippunkte im Weltsystem erzeugen sich weiter beschleunigende Prozesse: der Permafrost taut auf und setzt Klimagase frei, das Grönlandeisschild schmilzt und trägt Süßwasser in den Nordatlantik ein, der jetzt schon verlangsamte Golfstrom könnte ausbleiben. 

Die Verursacher und die Leidtragenden
Die Klimagase sind in der Atmosphäre mindestens 100 Jahre wirksam. Das Problem verlässt uns nicht, selbst wenn wir die Emissionen sofort auf null bringen.
Im Ranking der Treibhausgasemissionen pro Kopf (Stand 2018) liegen die USA mit 17,7 Tonnen C02-Äqivalent mit deutlichem Abstand vorn, gefolgt von China mit 8,4 Tonnen, dann die EU mit 7,4 Tonnen. Zum Vergleich: Die Emissionen eines Menschen in Indien beträgt 2,5 Tonnen, in Afrika 3,5 Tonnen.
In absoluten Zahlen liegt China (30,3%) vor den USA (13,4%) und Indien (6,8%). 
Über den Zeitraum der Industrialisierung von 1900 bis 2020 sind die Länder der heutigen EU der drittgrößte Verursacher der Klimakrise. Deutschland ist in der EU die Nummer eins mit 5,6%.
Unser Anteil an der Gesamtweltbevölkerung beträgt 1,1%. 

Als Verursacher der Klimakrise haben sich die "entwickelten Staaten" im Pariser Abkommen verpflichtet, im Sinne der Klimagerechtigkeit die größten Lasten der Klimakrise zu schultern. Wir sind ethisch-moralisch verpflichtet, uns bei der Bekämpfung der Krisenfolgen mit dem globalen Süden solidarisch zu zeigen.
Tun wir genug? Sicher nicht. Ich fürchte, die Klimakrise wird auch eine massive weltweite Solidaritätskrise.

Die nächsten Jahre entscheiden, ob wir zum Jahrhundertende auf eine in großen Teilen unbewohnbare Erde zusteuern. Wenn wir die schlimmsten Folgen der Klimakatastrophe verhindern wollen, müssen wir jetzt sofort handeln - individuell, gesellschaftlich, politisch.


Was können wir tun?
Sicher, individuelles Verhalten ist wichtig:
Fahrrad, Busse und Bahn so oft wie möglich. Wenn Auto, mit vielen Menschen besetzt und langsam.
Verzichtet auf Flugreisen und Kreuzfahrten. Statt Fleisch vegetarisch ernähren, aus Tierwohlgründen am besten gleich vegan.
Regionale Produkte: Weglassen, was einen weiten Weg hinter sich hat und großen Wasserverbrauch verursacht.
Pulli an statt Heizung an. Und und und.

Aber das wird nicht reichen - es ist eine beliebte Strategie der Entscheider, gesellschaftliche Probleme zu individuellen zu machen = "sollen die Komsumierenden entscheiden, der Markt regelt das dann ... ". Hebeln wir das aus.

Wir brauchen ein schnelles Umsteuern der politisch Verantwortlichen. Doch leider werden selbst die naheliegenden Maßnahmen mit sofortigen positiven Wirkungen, die "low hanging fruits", nicht ergriffen, z.B.:
Tempolimit sofort - Dauerhafter günstiger (besser kostenfreier) Öffentlicher Nahverkehr - Ausbau des ÖPNV zur attraktiven Alternative - Begrenzung der Massentierhaltung - Sofortiger Windkraftausbau durch typenoffene Genehmigungen - Anschluss von Biogasanlagen ans Gasnetz. Vereinfachte Stromeinspeisung von Photovoltaikanlagen. Moratorium des Straßenausbaus im Bundesverkehrswegeplan. Und und und.

Was können wir sonst noch tun? Setzt Euch in Euren persönlichen Bezügen für den Klimaschutz ein, redet darüber, in der Familie, am Arbeitsplatz, im Verein, in der Nachbarschaft. Findet kreative gemeinschaftliche Lösungen.
Politisch: Nervt Eure Abgeordneten in Kommunen, Land und Bund. Schreibt sie an, trefft Euch mi Ihnen, konfrontiert sie. Sie sollen Eure Interessen umsetzen! Wenn ihr die Nerven habt, geht selbst in politische Verantwortung.

Schließt Euch der Klimaschutzbewegung an. Geht auf die Straße, mit vielen. Stört den Alltag. Wie weit mensch zu gehen bereit ist, muss jede:r selbst entscheiden. Wird das Erfolg haben? Das ist nicht gewiss, die Widerstände sind groß, die Gesellschaft mit dem politischen, wirtschaftlichen, juristischen Teilsystem behäbig. 

Aber: Wer auf einen Berg will, muss losgehen. Der Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Geht los. Nichts zu tun ist keine Lösung. 


Axel Hake
Naturschutzreferent, Klimaschutzkoordinator des LV Nord



Hier findet ihr die aktuelle Studie des SRU: 
Sachverständigenrat für Umweltfragen - Publikationen - Wie viel CO2 darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO2-Budget (umweltrat.de)

Ergebnis des IPCC-Berichts von 2021:
IPCC-Bericht: Klimawandel verläuft schneller und folgenschwerer | Umweltbundesamt

Was sagt die UNO dazu?
Don't Choose Extinction - Eine Nachricht von Frankie the Dino | Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (undp.org)

Studie des Umweltbundesamtes zum Einsparpotenzial der Sofortmaßnahme Autobahn-Tempolimit:
Tempolimit | Umweltbundesamt
Tempolimit (umweltbundesamt.de)

Buchtipp: Kompakte Zahlen, Daten, Fakten zum Thema in anschaulichen Grafiken:
Machste dreckig - machste sauber von David Nelles und Christian Serrer
Machste dreckig - Machste sauber: Die Klimalösung (klimawandel-buch.de)

Der eigene Beitrag zur Klimagasemission lässt sich gut mit CO2-Rechnern nachvollziehen, z.B. bei:
CO2-Rechner des Umweltbundesamtes